Der Bundesgerichtshof (BGH) hält es nicht für ausgeschlossen, dass der Einsatz von Thermofenstern sittenwidrig sein kann. Allerdings reicht nur der Einbau einer solchen Einrichtung nicht aus, um einen Schadenersatz zu begründen.
Der VI. Zivilsenat des BGH weist in seiner Entscheidung vom 26. Januar darauf hin, dass die Entwicklung respektive der Einsatz der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) für sich genommen nicht ausreichend ist, um einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) zu begründen. „Das Verhalten der für den beklagten Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einem solchen Thermofenster ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben, so die BGH-Richter.“
Fall nicht mit EA 189 vergleichbar
Der Einsatz eines Thermofensters ist auch nicht mit der BGH-Rechtsprechung zum VW-Motor EA189 zu vergleichen, wie die Höchstrichter in ihrer Urteilsbegrünung ausführen: „Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist vielmehr nur dann gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Der Einsatz eines sogenannten Thermofensters ist nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die dem Senatsurteil vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 zum VW-Motor EA189) zugrunde liegt.“
Kläger verlangt Erstattung des Kaufpreises
Im vor dem BGH verhandelten Fall hatte der Kläger im Januar 2012 einen neuen Mercedes-Benz C 220 CDI für 32.106,20 € gekauft. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 ausgestattet und unterliegt keinem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA).
Der Käufer stellt in seiner Klage die Behauptung auf, dass die Motorsteuerung - bei einstelligen positiven Außentemperaturen - die Abgasrückführung reduziert bzw. ganz abschaltet und dieser Vorgang zu einem erheblichen Anstieg der Stickoxidemissionen führt.
Darüber hinaus sieht er in der Steuerung der Abgasrückführung eine unzulässige Abschalteinrichtung und behauptet, der Hersteller Daimler habe diese Funktion dem Kraftfahrzeugbundesamt (KBA) gezielt vorenthalten und verschleiert. Mit seiner Klage verlangte der Kläger die Erstattung des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs. Die Klage hatte bereits in den Vorinstanzen keinen Erfolg.
„Das Inverkehrbringen des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs sei unabhängig von der objektiven Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des in der Motorsteuerung installierten "Thermofensters" weder als sittenwidrige Handlung einzustufen noch ergebe sich daraus der erforderliche Schädigungsvorsatz der Beklagten“, lassen die Höchstrichter wissen.
Klage an OLG zurückverwiesen
Die Karlsruher Richter haben allerdings nicht abschließend über die Klage entschieden, sondern sie an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Dieses soll sich nun mit dem Vorwurf des Klägers befassen, dass Daimler im Zulassungsverfahren unzutreffende Angaben über die "Arbeitsweise" der Abgasreinigung gemacht haben soll. Der Konzern teilte mit, dass er "zuversichtlich" sei, dass das Oberlandesgericht die Klage abweisen werde.
„Das könnte auch dazu führen, dass Daimler sich zur Funktionsweise der Thermofenster äußern muss bzw. auch darlegen muss, welche Informationen dem KBA vorgelegt wurden. Bisher hat Daimler in solchen Fällen den Gerichten nur größtenteils geschwärzte und damit unbrauchbare Unterlagen vorgelegt“, führt Anda-Geschäftsführer Darius Forghani aus.
Was bedeutet das Urteil für Betroffene?
Mit ihrer Einschätzung bestätigt der BGH, dass Verbraucher den Kauf eines Fahrzeugs mit Thermofenster nicht automatisch rückabwickeln oder Schadenersatz fordern können. „Die obersten deutschen Zivilrichter weisen deutlich darauf hin, dass dem Hersteller eine arglistige Täuschung nachgewiesen werden muss. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 17.12.2020, welches festgestellt hatte, dass auch Thermofenster illegale Abschalteinrichtungen sein können und damit unter Umständen gegen EU-Recht verstoßen“, wie Anda-Geschäftsführer Andreas Peschel erläutert.